Bundesverfassungsgericht entscheidet zur Erbschaftsteuer

Erbschaftsteuergesetz erneut verfassungswidrig

Das Urteil des ersten Senats des Bundesverfassungsgericht ist letztlich eine denkbar schlechte Beurteilung für den Gesetzgeber:
Bereits zum dritten Mal nach 1995 und 2006 haben die Richter in Karlsruhe das Erbschaftsteuergesetz für verfassungswidrig erklärt, was zur Folge hat, dass wir seit über 20 Jahren über kein verfassungskonformes Erbschaftsteuerrecht verfügen.
Auf 60 vollgepackten DIN A 4 Seiten hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung vom 17.12.2014 (1 BvL 21/12) dargelegt, begründet und Leitlinien für den Gesetzgeber erarbeitet.
Zwar haben sich die Karlsruher Richter dafür ausgesprochen, dass zum Schutz von Familienunternehmen und Arbeitsplätzen die teilweise oder vollständige Befreiung von der Steuer einen legitimen Grund darstellt, bemängelt jedoch das bisherige Ausmaß und insbesondere die Ausgestaltung der Steuerbefreiung als nicht mit dem Grundrecht auf steuerliche Gleichbehandlung vereinbar.
 
Der Vizepräsident des ersten Senats Ferdinand Kirchhof erläutert auch die Hintergründe:
2012 haben Erben Befreiungsmöglichkeiten von fast 40 Milliarden Euro in Anspruch genommen, während der Staat lediglich 4,3 Milliarden Euro Erbschaftsteuer - vor allem von den Erben von Privatvermögen - einnahm. 10,8 Milliarden Euro entgingen 2012 den Ländern, die die Erbschaftsteuer erhalten.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung die Höhe der Steuerfreistellung von bislang 85 % bzw. 100 %, die Bewilligung von Steuerabschlägen und günstigeren Steuersätzen grundsätzlich für verfassungsgemäß eingestuft.
 
Nicht einverstanden ist das Bundesverfassungsgericht jedoch damit, dass
  • auch Unternehmen in den Genuss von Steuerprivilegien gelangen können, die einer Förderung gar nicht bedürfen,

  • die Lohnsummenregelung bislang nicht für Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern Anwendung findet. Dies sind in Deutschland jedoch 90 % aller Betriebe. Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern konnten überdies bis Mitte 2013 durch einfache Gestaltungen die Mitarbeiteranzahl auf 20 oder weniger senken. Damit können Betriebe die Steuervergünstigungen in Anspruch nehmen, die keine Arbeitsplätze erhalten, sondern abbauen.

  • auch Unternehmen mit bis zu 50 % Verwaltungsvermögen die Steuererleichterungen gewährt werden, obwohl lediglich Produktivvermögen gefördert werden soll, da nur produktives Vermögen dem Erhalt des Betriebes dient.

  • die Verschonung von der Erbschaftsteuer ohne Prüfung erfolgt, ob die Verschonung tatsächlich erforderlich ist, um Unternehmen und/oder Arbeitsplätze zu erhalten.

  • Auch § 19 Abs. 1 ErbStG, der einheitliche Steuersätze für alle Vermögensarten regelt, ist von der Verfassungswidrigkeit mit umfasst.

Nicht beanstandet wurde vom Senat die Festlegung der begünstigten Vermögensarten gem. § 13b EStG und er stellte ferner klar, dass es für die Einhaltung der Quote nur auf den Erblasser/Schenker ankommt, nicht jedoch auf den Erwerber, was bedeutet, dass eine Verschonung auch dann in Betracht kommen kann, wenn der Erbe bzw. Beschenkte keinen Einfluss auf die Einhaltung der Lohnsumme, der Haltefrist und auch auf Entscheidungen des Unternehmens hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat ferner bestimmt, dass die Normen bis 30.06.2016 fortgelten. Der Gesetzgeber hat nun bis spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Neuregelung zu schaffen. Das kann durch eine Änderung der jetzigen Betriebsvermögensbegünstigung geschehen, aber auch durch eine vollständig geänderte Form der Besteuerung.
Das Bundesverfassungsgericht gibt allerdings den Hinweis, dass eine verschärfende gesetzliche Neuregelung rückwirkend bis zum 17.12.2014, dem Tag der Urteilsverkündung, möglich ist und insoweit kein Vertrauensschutz für zukünftige Übertragungen mehr besteht.
 
Folgen und Handlungsempfehlungen
Bestandskräftige und nicht mehr änderbare Steuerbescheide sind von dem Urteil nicht betroffen. Die Bescheide bleiben unverändert bestehen.
Sämtliche Bescheide, die nach dem 14.11.2012, dem Tag der Veröffentlichung der Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder, ergangen sind, sind in vollem Umfang vorläufig. Da jedoch das BVerfG nur die Unvereinbarkeit des Erbschaftsteuerrechts mit dem Gleichheitssatz ausgesprochen und den Gesetzgeber verpflichtet hat, bis zum 30.06.2016 eine verfassungsmäßige Neuregelung zu verfassen, kann die Verfassungswidrigkeit der Betriebsvermögensbegünstigung nach § 176 Abgabenordnung von der Finanzverwaltung bei Änderungen nicht zuungunsten eines Steuerpflichtigen berücksichtigt werden. Ggf. sollten betroffene Steuerpflichtige eine Endgültigkeitserklärung beantragen.
Unsicherer sieht es für Steuerpflichtige aus, die Betriebsvermögen übertragen, aber noch keinen Erbschaftsteuerbescheid erhalten haben, da in diesen Fällen der Verböserungsschutz des § 176 Abgabenordnung nicht greift. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bietet in diesem Fall allenfalls die Aussicht, dass eine weitere Anwendung der alten Begünstigungsregelung bis zum 30.06.2016 zulässig ist. Entscheidend ist hier allerdings die Handlung des Gesetzgebers.
 
Für bislang noch nicht durchgeführte Betriebsvermögensübertragungen kann momentan nur empfohlen werden, eine Widerrufsklausel zu vereinbaren. Dies birgt zumindest die Option, die alte Rechtslage noch nutzen zu können, falls der Gesetzgeber seine Änderung doch nicht rückwirkend, sondern erst für die Zukunft in Kraft treten lässt (wovon die Verfasserin jedoch nicht ausgeht).

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